Kurzprosa

Mauenheim

Häuserzeile bescheiden. Blassgrüne Fassaden und Balkone. Fenster, alle gleich groß. Manchmal ein verhuschtes Gesicht zwischen weißen Häkelgardinenmaschen. Gepflegte Blumen in Kästen auf den Fensterbänken außen. Kaum Stimmen. Vor der Zeile eine abgewetzte Rasenfläche und die Hochbahn. Parallel dazu ein asphaltierter Weg, schmal und ein Zirkus auf der Fläche. Einmal im Jahr in den großen Ferien. Ein Karussell mit Plastikpferden, Flugzeuge, die im Kreis zischen, eine Schießbude, eine Hüpfburg, die so groß ist, dass man für immer darin versinkt, Kamele und Ziegen hinter einem Zaun dicht bei den Wohnwagen, mürrisch dreinblickende Zirkusjungen, die das Geld eintreiben und den Tierkot in Blecheimer sammeln. Ein Paradies für Kinder, die verloren gegangen sind. Kein Rummel, kein Andrang. Rentner an dem einzigen Bierstand, Einkaufstüten aller Formate, Hunde. Zuweilen Jugendliche. Auch die. Halten Abstand. Stecken ihre Köpfe zusammen und bauen sich was. Auf der Lehne der Quadratgitterbänke am Wegrand. Bahnverkehr. Mäßiges Dauerrauschen über der Wiese.

Dann unvermittelt eine Erweiterung der Szenerie. Ein helles Rufen etwas entfernt vom Zirkus. Ein junger Mann, der sich über einen Kinderwagen beugt. Eine Kinderhand, die sich nach oben reckt, nach etwas greift. Der Kopf in den Nacken gelegt, ein Glucksen. Aufschauen des jungen Mannes nun, ein angedeutetes Lächeln. Über den Gesichtern der beiden eine Jungamsel auf einem niedrigen Ast eines Baumes am Wegrand, die unverdrossen singt unter dem Rauschen der Hochbahn an einem Spätnachmittag.

 

Künstlergespräche

Der Abend breitet sich über die Stadt. Der Himmel hat ein Blaurot zum Anfassen und lässt Fragen zu. Auf dem Weg ins Domforum beobachte ich einen jungen Mann, der Feuer in die Dunkelheit spuckt. Das Feuer mischt sich in die Farben des Himmels und erwächst zu einem flammenden Ungeheuer. Ich bleibe einen Augenblick stehen, lege Geld in ein Kästchen. Der junge Mann nickt mir zu. Er verneigt sich mit zu starker Geste.

Die Halle des Domforums empfängt mich freundlich. Weite, hohe Fenster, durchwirkt von einem rautenartigen Muster, laden mich ein. Ich blicke direkt auf den Dom. Massig steht er da, weiß angestrahlt. Jeden Tag bewundert, gelobt, besungen. Ein Gebirge in der Stadt.

Ich frage, ob es möglich sei, vor der Lesung das Mikro auszuprobieren. Ein Techniker nimmt mir die Jacke ab und erklärt mir, dass er die Mikroanlage gleich aufbauen werde. Ich gehe auf die Bühne, lege Manuskript und Bücher ab. Der Techniker kommt, ich mache Sprechproben.

Die Halle füllt sich, Grußworte werden gesprochen, dann wird das Licht gedimmt.

Die Lesung beginnt mit einem Film. Es geht um die Frage, was es bedeutet, Kunst zu machen und warum man das tut. Ich gehe unmittelbar in den Film hinein, schaue mich überrascht um und frage mich, wie das sein kann. Ich laufe einen langen, schmalen Gang entlang, der an einen U- Bahntunnel erinnert, laufe eine Treppe hoch, die nicht aufhört. Stufe um Stufe steige ich weiter hinauf, bis ich plötzlich vor einer Frau stehe. Ich erschrecke, weil ich sie gar nicht bemerkt habe. Ich bleibe stehen, sage „hallo“. Die Frau sagt ebenfalls „hallo“ und stellt sich vor. Sie sei Künstlerin, spricht sie weiter und erzählt, warum sie Kunst mache, dass sie Filme drehe und sich mit ihrem Tun aus der Welt herausziehe, damit sie all das, was um sie herum passiert, besser aushalten könne. „Das kann ich verstehen“, erwidere ich unvermittelt und sehe die Künstlerin an. Ich denke, dass ich sie kenne. Ich sage, dass ich mir in den Geschichten, die ich schreibe, eine eigene Welt baue. „Diese Welt ist mein Aquarium, darin bin ich zu Hause. Ich kann mich bewegen, wie ich will. In diesem Kosmos, in diesem Sein erschließe ich mir die Welt, die Wirklichkeit da draußen.“ Sie lächelt, ich lächele zurück. Die Künstlerin bedeutet mir, dass ich noch viele Stufen hinauflaufen könne, um weitere Begegnungen zu machen. Ich merke, dass ich gar keine weiteren Begegnungen machen will, verabschiede mich und wende mich zum Gehen. Ich laufe die Stufen hinunter und denke an das Blaurot zum Anfassen und an den Himmel, der Fragen zulässt. Ich drehe mich nach der Künstlerin um. Sie steht immer noch an derselben Stelle, sie winkt mir zu. Aus der Entfernung wirkt sie kleiner. Ich laufe weiter, bis ich wieder unten bin, laufe durch den langen, schmalen Gang und trete aus dem Film heraus. Ich gehe auf die Bühne und nehme das Mikro. Das Geschriebene will gesprochen, will gehört und verstanden werden, denke ich. Es gehört hierhin, hier in diese Welt.

Im Bewusstsein dieses Gedankens beginne ich die Lesung.